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Marcus Weiss - saxophone / Nicolas Hodges - piano / Christian Dierstein - percussion

Lachenmann: Sakura-Variationen

Es ist nicht meine Art, Gelegenheitskompositionen zu schreiben. Meine dreistimmige Bearbeitung der Bachschen zweistimmigen d-moll Invention aus dem Jahre 1985 und die 2000 für ein Kinderkonzert des TRIO ACCANTO in der Kölner Philharmonie geschriebenen Sakura-Variationen sind Ausnahmen.

Die Bachbearbeitung war ein nicht ganz anspruchsloser Spaß im Bach-Jahr. Die drei Sakura-Bearbeitungen sind wie diese in einer wohlvertrauten Klangwelt angesiedelt, die ich eigentlich als Komponist hinter mir gelassen habe. Sie bedeuten indes keinen Rück-Schritt, sondern eher einen Rück-Blick, verstehen sich dabei zugleich heiter und ernst, so wie ich Kinder, und ihr Bedürfnis, innerhalb ihres Horizontes ernst genommen zu werden, ernst nehme.

Der exotische Tonfall des heiter-traurigen japanischen Volks- und Kinderlieds SAKURA, das im Symbol der Kirschblüten die Verbindung von reiner Schönheit und unabwendbarer Vergänglichkeit beschwört, wird in die funktionsharmonische Klangpraxis der europäischen Tradition eingepaßt. Bachs harmonisch nicht weniger verfremdende Bearbeitungen der strengen alten Lutherchoräle lassen von fern grüßen. Immerhin eskalieren meine Variationen, wenn auch leicht augenzwinkernd, ins Pseudo-Dramatische: die Musik frißt sich gegen Ende an den drei Anfangstönen der Melodie als fortissimo-Tamtamschläge fest, das Klavier partizipiert mit breiten Clustern, und das Saxophon bricht aus ins quasi ekstatische Improvisieren ein zeitlich unbegrenzter und zugleich unhaltbarer Zustand, aus dem die Musik sich dann schnell wieder zurück ins Gesittete flüchtet.


Helmut Lachenmann (2006)


The Sakura Variations are rooted in a world of sounds that is very familiar to us. They do not represent a step backwards, but a look backwards, and are to be understood as both cheerful and serious just as I take children seriously, along with their need to be taken seriously within their horizon. The exotic inflections of the sadly cheerful Japanese folk and childrens song which conjures up the connection of pure beauty and inevitable transitoriness in the symbol of the cherry blossoms, is embedded into the functional-harmonic practice of the European musical tradition. My variations escalate albeit slightly in jest into the pseudo-dramatic: towards the end, the music remains bound to the three beginning notes of the melody; the piano injects broad clusters, and the saxophone breaks out into an almost ecstatic improvisation a situation that sends the music scurrying back to orderliness.

Helmut Lachenmann